Die Genossenschaftsidee setzt sich durch
Der eigentliche Genossenschaftsgedanke reicht bis weit in die Geschichte zurück und wurde aus der reinen Not heraus geboren.
Die älteste deutsche Genossenschaft „Theelacht“ gründete sich bereits zum Ende des 9. Jahrhunderts in Norder (Niedersachsen). Die Weiterentwicklung der Genossenschaftsidee und ihre moderne Form dagegen ist unmittelbar verbunden mit den Namen Friedrich Wilhelm Raiffeisen (1818–1888) und Hermann Schulze-Delitzsch (1808–1883), die beide, unabhängig voneinander, Hilfsvereine zur Unterstützung von Menschen ins Leben gerufen hatten, die im Zuge der Industrialisierung in Deutschland in Not geraten waren.
Wohnungs(bau)genossenschaften verfolgen das Ziel, ihren Mitgliedern dauerhaft guten und bezahlbaren Wohnraum zur Verfügung zu stellen. Einen Anstieg erfuhr ihre Zahl nach dem wichtigen Erlass des Genossenschaftsgesetzes von 1889. Nun explodierte die Entwicklung förmlich. Im Jahre 1900 gab es bereits 385 Wohnungsgenossenschaften. Heutzutage gibt es in Deutschland über 2000 Wohnungs(bau)genossenschaften, die im GdW Bundesverband der deutschen Wohnungs- und Immobilienunternehmen e.V. organisiert sind. Sie bewirtschaften über 2 Millionen Wohnungen und zählen mehr als 3 Millionen Mitgliede
Aber zurück nach Riesa: Die Wohnverhältnisse in der Stadt eingangs des 20. Jahrhunderts lassen sich anhand der Ergebnisse einer Wohnungsstatistik vom 1.12.1905 sehr konkret angeben: Für eine Einwohnerzahl von 12.275 Personen standen insgesamt 3.233 Wohnungen zur Verfügung. In einer Wohnung lebten demnach im Schnitt 3,8 Personen. Ein Bericht aus der damaligen Zeit bemängelte fehlende oder mangelhafte Aborte und Küchen, unzureichende Fensteröffnungen, ungeeignete und überbelegte Schlafräume, als Arbeitsräume genutzte Wohn- und Schlafzimmer und vieles anderes mehr.
Zur selben Zeit übernahm Dr. Alfred Scheider die Amtsgeschäfte als Bürgermeister von Riesa – ein Mann, der einerseits dem klaren Bestreben folgte, die Stadt Riesa bei der Entwicklung zum florierenden Industriestandort zu unterstützen, der aber auf der anderen Seite auch die Beseitigung der Missstände des Wohnungswesens als persönliche Verpflichtung begriff. Unmittelbar mit seinem Amtsantritt initiierte er einen regen Erfahrungsaustausch mit vergleichbaren Städten, die zur Bewältigung ihrer Wohnungsprobleme bereits erfolgreich Wohnungsbaugenossenschaften gegründet hatten.
Um für die Gründung einer Wohnungsbaugenossenschaft in Riesa zu werben, berief Dr. Scheider am 21. April 1909 im „Riesaer Tageblatt“ gegen die Widerstände eine öffentliche Versammlung im Sitzungssaal des Rathauses ein. Zur Veranstaltung erschienen mehr als 40 interessierte Bürger, Stadtverordnete und Unternehmer, um Zeugen eines leidenschaftlichen Plädoyers ihres Bürgermeisters für die Verminderung der Wohnungsnot und die Vorteile des genossenschaftlichen Bauens zu werden. Fast alle Anwesenden zeichneten danach Anteile im Wert von je 200 Mark und trugen sich in die Mitgliederliste ein. Insgesamt wurden so 22.000 Mark Anteile gezeichnet – und so der Grundstein für die Riesaer Genossenschaftsgründungen gelegt.
